1. Leseprobe

       Kunstgriffe - Folgs Werke. Unglaubliche Geschichten. 120 Seiten.
ISBN 3-9800141-1-8 / Preis: 10 EUR
Die mit "Kunstgriffen" überschriebenen Kapitel sind die Versuche der Hauptfigur Folg, die Wirklichkeit zu gestalten und seine Zeitgenossen zu belehren. Die Brunnen-Geschichte scheint zwar auf den ersten Blick erfunden, in Wahrheit aber ist sie - wie so manches in diesem Buch - fast so vorgefallen. Der besagte Brunnen steht auf dem Marktplatz von Biberach und ist in der Tat nach einigen farbigen Anschlägen auf ihn offiziell so bemalt worden. Seht ihn euch an!



Das Symbol in der Mitte kann
als Siegeszeichen ausgelegt werden.
Es ist zugleich der Schattenriß eines Schnitzwerks, das im Buch
eine Rolle spielt und auch in Wirklichkeit der Form nach so aussieht.
 
 

Sechster Kunstgriff: Der Brunnen

Dieser formschöne Brunnen unterscheidet sich von anderen mittelalterlichen dadurch, daß er aus dem 17. Jahrhundert stammt, darum viel besser erhalten ist und der Stadt noch lange als Wahrzeichen dienen kann. Der Ritter aus Stein (19. Jahrhundert), der richterlich und mit martialischem Schnurrbart über dem Becken achtgibt, daß die Tierdämonen unter ihm – Sinnbild der Weltzugewandtheit – durchs schreiende Maul ihr Wasser gleichmäßig abschlagen, ist einstmals von einem Künstler zu dieser Aufgabe gezwungen worden und bleibt dabei. Eigentlich hätte er, statt seine Hand über ihr Tun zu halten, mit einer neptunischen Gabel nach ihnen stechen und augenrollend, mit wilhelminischem Schnurrhaar, ein gebieterischer Brunnengott sein können. Da er aber lieber müßig dasteht und auf den Durstigen blickt, ist in gewissem Sinne nichts aus ihm geworden.

Als spräche er ihnen aus dem Herzen, ist er Anziehungspunkt aller ähnlich nutzlosen Existenzen der Stadt, die um ihn herumsitzen, die Haare – wie einst Loreley – übers Wasser hängen und den vorbeiziehenden Bürger schrecken. Wer anders als sie kann eines Nachts den Steinernen so anstößig bemalt, ihm eine gelb bestickte Weste umgehängt, rote Knieschoner und einen blauen Bart angetan haben? Der große Schildhalter, der Neptun hätte sein können, war zum Harlekin der Stadt gemacht worden! Wie war so etwas möglich, wo die Polizei gewesen? Hätte sie nicht längst den Ritter und Wappenträger mit einer Wache schützen können?! Da sah man ja den Treuedienst seiner unritterlichen Nachkommen! Abgeschmirgelt werden mußte er! Aber den wollte man schon statt seiner auf die Brunnensäule hinaufstellen und dem Wasserschlauch aussetzen – wie den Ritter dem Sandstrahl –, der sich an seinem Bart vergriffen hatte.

Was war zu tun? Folg, der fachmännisch zunächst eine künstliche Waschung empfahl, mußte zugeben, daß sie eher den Stein als die Farbe auflöste und dem Steinernen Sandwunden schlug. Sein Kunsteifer brachte jedoch den Rat der Stadt dazu, einen besonderen Fond einzurichten, der es ermöglichte, die Statue abzublasen und mit besonderen Bürstungen zu reinigen. Um aber künftigen Anstreichern das Handwerk zu legen, müsse man – meinte Folg –, so grau könne man es ohnehin nicht lassen, freilich etwas unternehmen und dem Ganzen schon ein wenig mehr Farbe geben, was er, Folg, bewerkstelligen wolle, sofern man ihn damit beauftrage. Dies geschah nach gründlicher Beratung.

Folg ließ nun um den Brunnen ein kunstvolles Gerüst anbringen, in das er den Ritter wie in einen Käfig sperrte – damit er sich seinen Ätzungen nicht entzöge –, und begann mit Streichen. Zwei Wochen konnte man ihn, stehend oder auf dem Bauch liegend, den widerspenstigen Körper bearbeiten, ihm einen roten Schurz entwerfen oder mit einer leuchtenden Schärpe den Bauch eindämmen sehen, ehe er ihm einen blauen Rock an den Schurz fügte und Klappen, ganz in Gelb, auf die Achseln steppte, rote Wadenbänder erfand und ihm mit viel Grau in den Bart fuhr. Der Reichsadler reckte sich schwarz vor senfgelbem Horst, geschreckt vom dämonenbewehrten Knieschutz des Kriegsgottes. Was für ein Ritter! Die Stadt konnte stolz sein auf einen solchen Schirmherrn. Und sie war es! Stürmisch wurde seine Renaissance gefeiert, den Wegelagerern zum Trutz, das Prachtstück aber den Kunstführern einverleibt. „Mit Kunst“, beschloß Folg seine Festrede, „stopft man Herumstreichern allemal das Maul!“

(Copyright Talfeldverlag)


weiter zur 2. Leseprobe

Talfeldverlag@t-online.de

zur Navigation