4. Leseprobe

Der Sportler des Jahres 
und andere Satiren
ISBN   3-9800141-4-2 /  Preis: 10 EUR
auch im Buchhandel

 


Das Buch ist eine bunte Folge
von bissigen Stücken.
Auf dem Umschlag sieht man eine
riesige Orgel auf einem Fußballfeld. Ein
Spieler müht sich redlich darauf ab.
Kann er
zum Sportler des Jahres gewählt werden?
 
 
 

Zwei kurze Stücke als Appetitanreger
(Seite 24 und Seite 6)

 

Die Verwandlung

Dennis Wise, ein Autoverkäufer aus Florida, aber das tut vorerst nichts zur Sache, hat kürzlich den Beweis geliefert, wie leicht es heute ist, seinem Ich zu entfliehen, um ein Anderer zu sein. Niemand, hieße er nun Frisch oder Unfrisch, wird fernerhin behaupten können, daß ein Bildnis ihn richte. Nur jenes, das man von sich selbst macht, zählt künftig. Man kann es sich neuerdings anfertigen lassen. Chirurgisch! Je nach Wunsch. Dennis, der als Wise zu Bett ging, ist nun als Presley auferstanden. Frisch gepreßt – warum nicht? Unter den Händen geschickter Chirurgen gestorben und geboren, geschlüpft wie ein Schmetterling: schönheitsoperiert (ohne Komplikationen)! Daß er Presley wurde, erklärt sich aus dem unerwarteten Hinscheiden seines Vorbilds – dessen Gesicht damit frei wurde –, aus seinem passend musikalischen Hinterkopf und einem zweijährigen Autoverkaufssparbuch, das die Verwandlung knapp ermöglicht hat. Zu Mozart wäre wohl etwas mehr vonnöten gewesen. Dennis hat sich nun einmal für Presley entschieden, den er jetzt fortsetzt und uns erhält. Mit dem Autohandel ist es nun wohl vorbei. Sein Chef soll ihn nicht mehr erkannt haben, heißt es, und seine Freundin ihn verlassen. Nur sein Hund in hündischer Treue, doch auch er sichtlich nervös, hänge noch an ihm. Doch daran braucht nichts Wahres zu sein. Und Dennis schweigt. Er muß sein Gesicht wahren. Wenn sich aber alles gut anläßt – schon spielt er Gitarre, nimmt Kurse im Hüftwackeln und auch schon körperlich zu – und wenn sich, wie erwünscht, die Plattenbranche darauf einläßt, wenn ihm endlich noch jemand Haus, Hof und Hofstaat überläßt (zwei Leibwächter stehen schon auf Abruf bereit): ist übers Jahr der Kuckuck wieder da.

Hartmut Löffel /  Copyright (Talfeldverlag)


SATIRE  IM  BRENNPUNKT

Der Kern einer Satire ist ihr gesellschaftliches Potential: ihre kritische Masse. Ohne sie entsteht sie begrifflich nicht. Aber andererseits auch nicht allein durch sie. Man kann definitorisch sagen, daß Satire erst dann zustande kommt, wenn diese kritische Masse – der namensgleichen darin nicht vergleichbar – durch Witz ästhetisch gezündet wird, möglichst so, daß sie ihrerseits zündende Reaktionen bewirkt. Satire ist also eine durch Witz ästhetisch gezündete kritische Masse. Art und Umfang sowohl dieser Masse als auch des Witzes, der nadelspitz, aber auch gallig sein kann, sind veränderlich.

Bei diesem Prozeß wird Energie frei. Im besten Fall wird sie in Handlungsenergie umgesetzt; im zweitbesten Fall führt sie zu Hitzewallungen (auch Reibungswärme); im schlechtesten verpufft sie wirkungslos. Das kann an ihr selbst liegen, aber auch an der „kritischen Masse“ des Zuhörers, die sehr bescheiden, doch ebenso höchst träge – also nicht aktivierbar – sein kann. Die Kettenreaktion ist sozusagen an die Kette gelegt.

Der Autor kann Energie auf zweierlei Weise erzeugen: in einem Reduktionsprozeß, indem er Realität im Kern vernichtend attackiert und entlarvt, ja selbst dann, wenn er sie nur ironisch vorführt, oder umgekehrt – wenn auch freilich seltener – in einem Fusionsvorgang, indem er zwei Wirklichkeiten aufeinanderprallen läßt, um eine gewichtigere, vielleicht dazwischenliegende, gedanklich zu synthetisieren. Dazu genügt es, zwei Zeitungstexte konfrontativ nebeneinanderzustellen und dadurch geistig aufeinander zuzutreiben.

Hartmut Löffel /  Copyright (Talfeldverlag)


SATIRISCHE  BLICKWINKEL


Ein Satiriker fühlt sich als Aufklärer. Nicht so, dass er direkt und lichtvoll zeigt, wie etwas sein soll, sondern mit dem Röntgenblick auf die Schattenseiten. Da er nicht Klartext schreibt, sondern als Freund der Ironie auch noch das Gegenteil von dem sagt, was er eigentlich denkt, wird er häufig missverstanden. Er hat verschiedene Möglichkeiten, sich zu Wort zu melden.

 

Der Satiriker spricht selbst

 

In einer satirischen Glosse der Schwäbischen Zeitung vom 19. März 2013 mit dem Titel „Armer Abramowitsch“ nimmt ein nicht genau genannter Autor russische Milliardäre aufs Korn, die ihr Geld auf Zypern gebunkert haben sollen. Sie werden nun durch eine staatliche Zwangsabgabe belastet. Scheinbar treuherzig setzt sich deshalb der Schreiber für sie ein, als handle es sich um Sozialfälle. Abramowitsch zum Beispiel habe rund 13 Milliarden Dollar auf seinem Sparbuch angesammelt durch „tagtägliche harte Arbeit“ und „eisernes Sparen“ als Ausdruck dessen, dass sich im „postsowjetischen Russland Leistung wieder lohnt“. Was hat er nun davon (außer einem eigenen Schiff und einer Boeing 767)? „Bisher konnte es sich dieser Herr leisten, sein sauer verdientes Brot jeden Tag mit Butter zu bestreichen sowie mit einer Scheibe Wurst zu belegen. Damit dürfte nun Schluss sein.“ Der Text gipfelt im dringlichen Appell: „Jene EU-Politiker, welche für die schamlose Schröpfung dieser Menschen verantwortlich sind, sollten wenigstens ein Spendenkonto für sie einrichten.“ Wer den Text jetzt noch wortwörtlich liest und für Wahrheit hält, weil er die deutlichen Ironie-Signale nicht erkennt, dem muss man gewiss auch Witze erklären.

 

Der Satiriker lässt Figuren sprechen

 

Ohne weiteres hätte sich der Satiriker in der gerade angeführten Glosse (zu einem wirklichen Zeitungsbericht) scheinbar heraushalten und irgendeinem fiktiven „armen Abramowitsch“ selbst das Wort erteilen können. Jener könnte sich ja zum Beispiel damit rechtfertigen, dass man ihm jetzt seine großzügigen Spendengelder wegnehmen möchte, dass er als Unternehmer viele Arbeitsplätze schaffe und als guter Mensch eben zuerst nehmen müsse, bevor er geben könne – nicht anders als der gute Mensch von Sezuan in Brechts Theaterstück. Ein rechter Wolf im Schafspelz, dieser Abramowitsch, den der Autor beim Versuch, Geld und Charakter weißzuwaschen, lächerlich werden lässt. Diese Figur ist sein Satireobjekt.

 

Natürlich kann ein Satiriker auch ganz anders veranlagte Figuren vorschieben: solche, die sein Sprachrohr sind, mit ähnlichem intellektuellen Niveau und Ausdrucksvermögen – oder solche mit eigenständigen Abweichungen, wie etwa der brave Soldat Schwejk, der mit schlaufüchsiger Naivität gegen den Krieg und seine Betreiber entwaffnenden Widerstand leistet. Sein Schöpfer, der Autor Jaroslav Ha¨ek, bewundert ihn, ja er sagt sogar im Vorwort des Schelmenromans: „Ich habe diesen braven Soldaten Schwejk sehr lieb und bin bei der Niederschrift seiner Abenteuer im Weltkrieg überzeugt, daß ihr alle für diesen bescheidenen, verkannten Helden Sympathie empfinden werdet.“

Anders entwirft Bertolt Brecht seine Hauptfigur, die Marketenderin Courage, im Drama „Mutter Courage und ihre Kinder“. Zwar lässt er auch sie ein Stück weit unbeschadet durch den Krieg kommen und ihn zuweilen klarsichtig kritisieren, aber letztlich verliert sie als Geschäftemacherin und Überlebensstrategin, die ebendiesen Krieg braucht, wider besseres Wissen ihre Kinder. Brecht rückt deutlich von ihr ab, wenn er sagt: „Dem Stückschreiber obliegt es nicht, die Courage am Ende sehend zu machen – sie sieht einiges, gegen die Mitte des Stückes zu, am Ende der sechsten Szene, und verliert dann die Sicht wieder –, ihm kommt es darauf an, daß der Zuschauer sieht.“ („Die Courage lernt nichts“ in: Gesammelte Werke in 20 Bänden, Bd. 17, S. 1150.) Der Koch dagegen im gleichen Stück ist mit seinen politisch-satirischen Einsichten und Äußerungen deutlich auch ein Sprachrohr des Autors.

Verkehrte Welt, wie in beiden zuvor genannten Werken, kann auch durchaus wirksam durch ein Kind entlarvt werden. „Kinder und Narren sagen die Wahrheit“, heißt es nicht umsonst im Sprichwort. Schwejk ist gewiss auch ein solcher Narr, das Kind aber in Hans Christian Andersens satirischem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ eine willkommene Wahrheitsfigur, die der verlogenen Gesellschaft mit dem Satz „Aber er hat ja gar nichts an!“ das entscheidende Stichwort liefert.

 

Der Satiriker zitiert und zeigt

 

Dem Satiriker ist es allerdings auch möglich, sich noch weiter als hinter Figuren zurückziehen. Der Schriftsteller Karl Kraus (1874-1936) hat es mit seiner Methode des „kommentarlosen Zitierens“ vorgemacht. Er ist als strikter Realsatiriker nur noch derjenige, der fragwürdige Texte auswählt, vielleicht etwas verkürzt abdruckt, manchmal Stellen graphisch hervorhebt, um ihre Schreiberlinge, meist Journalisten, als „Preßköter“ oder „Tintenstrolche“ anzuprangern. Oder aber er stellt, überaus originell, zwei Berichte nebeneinander, die ursprünglich gar nicht zusammengehören. Seine Satire „Die Mütter“ führt uns dazu ein Beispiel vor Augen: Ein Zeitungsbericht über eine Kindstötung wird mit einer verkürzten medizinischen Abhandlung über die Taufe im Mutterleib konfrontiert. Beide Vorlagen mit allein schon genug satirischem Potenzial sind so zu einem provozierenden Tandem montiert. Dem mündig gedachten Leser bleibt es dabei selbst überlassen, ohne lenkende Ironie-Signale eines Autors, Erkenntnis und Schlussfolgerung daraus zu ziehen.

Hartmut Löffel /  Copyright (Talfeldverlag)


Abdruck der Satire „Die Mütter“ in: http://www.textlog.de/39170.html


 
Über den Autor

Talfeldverlag@t-online.



 

                                                                                                  

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