Hartmut Löffel

EIN  DENKMAL

Fabelhaft, wenn eine Stadt
einen solchen Esel hat,
der auf ihrem Marktplatz steht
und sich windbetrieben dreht:

mit der einen, hellen Seite:

dem Gewimmel vieler Leute,

und der andern – fahlen Lichts,
doch auf dieser sieht man:


– nichts!
Wie man’s dreht und deutend wendet:
Dieses Werk ist unvollendet
und dem Künstler – trotz Bezahlen –
sichtlich nichts mehr eingefallen.

Freilich ist der Kopf genial:
Eine Frau kam nackt zu Fall,
sträubt sich nun, doch ehrverloren
sind die Beine seine Ohren,
während sie jetzt umgekehrt
mit dem Kopf zum Maul gehört.


Hinten aber hängt ein Mann,
der als Mann nur Schwanz sein kann,
doch er wirkt beschaulich heiter,
hochzufrieden und so weiter.


In der Mitte krottenbreit
sitzt die hohe Geistlichkeit,
und die imposanten Mützen
festigen ihr breites Sitzen,
aufgereiht behaupten sie
Steiß um Steiß die Bauchpartie,
und als Herren des Verbotes
bilden sie das Bollwerk Gottes.


Und die Hinterbeine füllt
einer, der getreten brüllt –:
dass ihm seine Lust vergeht
und er Gottes Wort versteht!

Doch der Vorderfüßemann
zielt die große Hure an,
stößt sie mit dem Stock, bestrebt,
dass ihr Schenkelfleisch sich hebt,
und bemäntelt sein Begehren
als Soldat der hohen Herren.

Oben aber auf dem Rücken
sind nur Stücke zu erblicken:
Fratzen, hohle Schmerzgesichter,
Dunkelmänner und Gelichter,
doch vereint nach alter Art
wie bei einer Himmelfahrt.

Hoch hinaus will Kanzler Kohl,
unterm Hut der Taten voll,
höher noch sein Geldkuvert –
schwenkt es nicht von ungefähr!

Und noch andre Zeitgenossen
sind dem Künstlerkopf entsprossen.
Doch man steht vor seinem Werk
wie ein Ochse vor dem Berg.
(Auch der Berg steht vor dem Ochsen:
wie den Baffen vorwärtsboxen?)

Seht, das Lösungswort ist nah,
hängt an einer Hauswand da:

Weil’s ein Stück von Wieland ist,
den kein Stinknormaler liest,
wird man freundlich aufgeklärt,
und so heißt es hier gelehrt:

Quelle sind die Abderiten,
die darüber heftig stritten,
ob ein Eselsschatten frei
oder zu bezahlen sei!
Wenn die größte Hitze brütet
und du hast das Tier gemietet,
ist es dann umsonst gestattet,
dass der Esel dich beschattet?

Ein Prozess ergriff die Stadt,
der sie fast vernichtet hat,
und zuallerletzt entsetzt
haben sie das Tier zerfetzt –
ihm ein Denkmal aufgestellt,
das der Welt ihr Stück erzählt!

Und nun steht es wirklich hier,
schattenschönes Fabeltier,
ewiger Erinnrung wegen
und mit Christoph Martins Segen!



Quellen: Erstes und zweites Bild mit Genehmigung der Stadt Biberach. Viertes und letztes Bild mit Genehmigung
von Dierk Andresen (www.weberberg.de).
Das dritte Bild ist in Privatbesitz (Nutzungsrecht: H. Löffel).

Die Statue stammt von Peter Lenk.

Copyright  des Textes: Talfeldverlag / Hartmut Löffel


Siehe auch "Auf dem Marktplatz" in: "Von pfiffigen und anderen Köpfen", S. 58 ff. (Fassung A).